Das Notfall-Einmachmobil

Verein Zukunftstauglich10
FHNW

Welches grundlegende Problem adressiert ihr?

Mit dem Verein Zukunftstauglich10 setzen wir uns für das Wissen und die Praxis rund ums Einmachen ein – mit zahlreichen erfolgreichen Workshops in der Stadtgärtnerei in Zürich, mietbaren Küchen (z.B. Kochnische in der Markthalle Basel) und Quartieren. Doch trotz hoher Nachfrage gelingt es bislang nicht, diese Aktivitäten zu skalieren. Immer wieder stehen wir vor denselben strukturellen Hürden: Der Aufwand für die beteiligten Akteur:innen ist hoch, insbesondere durch die Logistik. Gemüse, Kräuter und weitere Zutaten fürs Einmachen müssen von verschiedenen Orten zu einer zentralen Küche gebracht werden. Nach dem Workshop fallen Rücktransporte für Geräte, Lebensmittelrestmengen und Grüngut an. So wird aus einem dreistündigen Einmachworkshop ein Gesamtaufwand von bis zu acht Stunden – für viele potenzielle Multiplikator:innen über einen längeren Zeitraum nicht leistbar.

Auf der anderen Seite stehen viele Lebensmittelproduzenten, darunter Schrebergärtner:innen, landwirtschaftliche Betriebe (u.a. Solawi Plankton, Birmatterhof), Gärtnervereine, Balkongärtner:innen sowie Lebensmitteldistributoren von Nahrungsmittelrestbeständen (Schweizer Tafel, Tischlein deck dich, Circunis), stehen vor der Herausforderung, dass reife Lebensmittel in grossen Mengen anfallen (z.B. Zucchinischwemmen, Kürbisschwemmen), aber nicht vollständig verwertet werden können. Insbesondere während der Erntespitzen bleibt ein erheblicher Teil von Früchten, Gemüse oder Kräutern ungenutzt – etwa wegen zeitlicher Überschneidungen (Sommerferien zur Zeit von Sommergemüse), aufwendiger Verarbeitung oder fehlendem Know-how. Diese ungenutzten Ressourcen führen zu vermeidbarer Lebensmittelverschwendung (Food Waste), die wiederum zur Entstehung von Treibhausgasen beiträgt und ökologische sowie ökonomische Folgen mit sich bringt.

Zusätzlich wächst die Nachfrage von Lebensmittelverwertenden – etwa in der Gemeinschaftsgastronomie, in solidarischen Landwirtschaften oder in sozialen Einrichtungen – nach lokal produzierten, saisonalen Lebensmitteln.

Die aktuelle Struktur unserer Lebensmittelverwertung ist nicht ausreichend darauf ausgelegt, temporäre Überschüsse effizient zu verarbeiten und weiterzugeben. Die grösste Barriere liegt in der Trennung von Ort der Lebensmittelentstehung und Ort der Verarbeitung. Die bestehenden stationären Lösungen sind zu unflexibel, um auf spontane Erntespitzen oder kurzfristige Kooperationsmöglichkeiten zu reagieren. Es fehlt an dezentralen, niederschwelligen und flexiblen Infrastrukturen, welche die Nutzung saisonaler Lebensmittelüberschüsse ermöglichen – insbesondere auf lokaler Ebene.

Genau hier setzt unser neuer Projektansatz an: Mit dem Notfall-Einmachmobil – einer mobilen Einmachküche auf Basis eines Lastenfahrrads – bringen wir die Verarbeitung dorthin, wo Lebensmittel anfallen. Das Einmachmobil erlaubt es uns, gezielt auf Situationen mit akutem Überschuss zu reagieren, und ermöglicht spontane, niedrigschwellige Einsätze direkt vor Ort.

Damit können «Einmachprofis» flexibel unterschiedliche Standorte ansteuern und neue Zielgruppen für das «Haltbarmachen von Lebensmitteln» zu erschliessen, die sich ausserhalb der «Anti-Food-Waste-Bubble» befinden. Dieser neue Ansatz ist ein weiterer gezielter Versuch, unsere Aktivitäten zu skalieren. Er richtet sich bewusst an Akteur:innen mit wenig Planungssicherheit – etwa in der solidarischen Landwirtschaft, bei Gemeinschaftsgärten oder im urbanen Umfeld. Das Einmachmobil bietet somit eine praktische und effektive Lösung: Statt alle Zutaten, Geräte und Teilnehmenden zu einem zentralen Ort zu bringen, kommt die mobile Küche dorthin, wo die Lebensmittel ohnehin anfallen – sei es im Garten, auf dem Feld, im Quartier oder auf einem Hof. Das reduziert Transportwege, spart Zeit, erleichtert die Organisation und erhöht die Flexibilität für Akteur:innen, Multiplikator:innen und Teilnehmende gleichermassen.

Die wissenschaftliche Begleitung durch die FHNW (Institut für Marktangebote und Konsumentenentscheidungen) evaluiert das Potenzial des Projekts für eine breite Umsetzung. Ziel ist die Entwicklung eines lokal anpassbaren und dezentral skalierbaren Modells, das unterschiedliche Beteiligungsformen – von solidarisch bis wirtschaftlich – abbilden kann und das Zielgruppenspektrum erweitert. Die Kombination aus praktischer Anwendung und wissenschaftlicher Reflexion stärkt die Wirksamkeit des Projekts und ermöglicht es, nachhaltige Kreislaufwirtschaft als festen Bestandteil unseres Ernährungssystems zu etablieren.

Welche Gewohnheiten möchtet Ihr durch welchen Ansatz wie verändern oder mainstreamen?

Das Projekt «Notfall-Einmachmobil» zielt darauf ab, alltägliche Routinen im Umgang mit Lebensmitteln zu verändern – insbesondere die verbreitete Praxis, überschüssige Lebensmittel und Nebenströme (z.B. Kartoffelschalen oder Radiesliblätter) wegzuwerfen. Stattdessen soll das Haltbarmachen durch traditionelle Techniken wie Fermentieren, Einmachen und Trocknen wieder Teil des Alltags werden. Diese Methoden haben eine lange Tradition, sind ökologisch sinnvoll und ermöglichen es, Lebensmittelüberschüsse in lagerfähige, geschmacklich aufgewertete und ernährungsphysiologisch wertvolle Produkte zu verwandeln. Damit leisten sie einen Beitrag zur Reduktion von Food Waste, fördern die Wertschätzung regionaler und saisonaler Lebensmittel und eröffnen neue Geschmackserlebnisse – der Kreislauf vom Anbau bis zum Teller wird geschlossen.

Das Notfall-Einmachmobil vermittelt dieses Wissen im Rahmen von Workshops direkt vor Ort – niederschwellig, praktisch und alltagsnah. Es richtet sich an verschiedene Akteur:innen von Zuliefernden: von privaten Gärtner:innen über solidarische Landwirtschaften bis hin zu Gastronomiebetrieben. Dank seiner Mobilität kann das Notfall-Einmachmobil flexibel auf die jeweiligen Bedürfnisse und Kontexte der Zuliefernden eingehen. Die Teilnehmenden lernen, diese Fertigkeiten in ihren Alltag zu übertragen und an andere weiter zu geben (Multiplikation). Das Ziel der Mobilität und der Einsätze Vorort, wo die Lebensmittelüberschüsse anfallen, ist es, weitere Zielgruppen zu erreichen und zu committen.

Durch gezielte Schulungen (Multiplikator:innen-Ausbildung) wird das Wissen verbreitet und verstetigt. Die Verarbeitung folgt unterschiedlichen Modellen – solidarisch, teil-solidarisch oder wirtschaftlich – und erlaubt es, verarbeitete Produkte sowohl an die ursprünglichen Zuliefernden zurückzugeben als auch über Absatzmärkte (z. B. Gemeinschaftsgastronomie) zu vertreiben. Die Abnehmenden können von regionalen und gesunden Produkten profitieren, die länger haltbar sind.

Das Projekt fördert einen bewussteren, ressourcenschonenden Umgang mit Lebensmitteln als neue gesellschaftliche Norm. Es verbindet altes Wissen mit zeitgemässen Formaten und leistet damit einen Beitrag zur Transformation des Ernährungssystems hin zu mehr Kreislaufdenken, Regionalität und Nachhaltigkeit.

Woran möchtet ihr während des Boosters arbeiten?

Während des Boosters soll das Konzept des Notfall-Einmachmobils konkretisiert, prototypisch umgesetzt und hinsichtlich seines Potenzials für eine breitere Anwendung untersucht werden. Der Prototyp basiert auf dem Prinzip der Modularität. Er ist somit aus sich wiederholenden Elementen aufgebaut. Die einzelnen Module können sich den spezifischen Gegebenheiten anpassen und sind individuell konfigurierbar. Für die Module werden standardisierte Elemente verwendet, die immer die gleiche Dimension aufweisen, wie beispielsweise Unterbauten von Gastroküchen. Durch dieses Prinzip lässt sich bei einer hohen Stückzahl günstig produzieren und somit eine Skalierung erreichen.

Die wissenschaftliche Begleitung evaluiert dabei die Wirksamkeit des Ansatzes und identifiziert Bedingungen, unter denen das Modell erfolgreich skaliert werden kann. Ziel ist die Entwicklung eines skalierbaren Modells, das unterschiedliche Beteiligungsformen – von solidarisch bis wirtschaftlich – abbildet und der Kreis an Interessenten erweitert, welche sich aktiv daran beteiligen, Food Waste zu reduzieren.

Durch die Kombination aus praktischer Anwendung und wissenschaftlicher Reflexion soll aufgezeigt werden, wie nachhaltige Kreislaufwirtschaft als fester Bestandteil des Ernährungssystems etabliert werden kann.

Zentrale Forschungsfragen sind unter anderem:

  • Unter welchen Bedingungen sind Zuliefernde bereit, überschüssige Lebensmittel für die Weiterverarbeitung bereitzustellen? Wie können diese zur Partizipation aufgerufen werden? Was sind die Treiber und Barrieren für das Spenden von frischen Lebensmitteln?
    • Welche lokalen Zielgruppen können motiviert werden, das Notfall-Einmachmobil zu nutzen?
    • Inwiefern braucht es eine Monetarisierung, inwiefern ist auch ein Wertetausch erwünscht?
    • In welchem Ausmass möchten die Zulieferer ihre Lebensmittel behalten, was darf auf den Markt?
  • Welche Motivation haben Abnehmende, um haltbargemachte Lebensmittel aus überschüssiger Produktion zu beziehen? Was sind dafür bereit zu bezahlen?
  • Welche Hemmnisse und Barrieren bestehen bei den Zielgruppen für nachhaltigen Konsum und wie können diese durch gezielte Kommunikation in Resonanz gewandelt (z.B. rational vs. emotional)?
  • Wie können bewährte Prinzipien der Verhaltensänderung genutzt werden, um langfristig eine nachhaltige Ernährungskultur zu fördern?
  • Welches Potenzial hat das Einmachmobil als Konzept zur Reduktion von Food Waste? Welche Konzeptbestandteile der Einmachwerkstatt überzeugen, welche nicht?

Methode

Zur empirischen Beforschung der Fragestellungen werden 12 qualitative In-Depth-Interviews (IDIs) (nachfolgend, qualitative Interviews‘ genannt) durchgeführt.

Die qualitativen Interviews dauern ca. 60 Minuten und finden – zur Gewährleistung maximaler Flexibilität – online über eine Video-Plattform statt.

Stichprobe

Für die Beantwortung der Forschungsfragen beide Zielgruppen relevant.

Im Fokus des Interesses stehen seitens «Zuliefernden» (n=6) folgende Akteure:

Landwirtschaft, solidarische Landwirtschaft (z.B. Plankton), Schweizer Tafel, Schrebergärtenvereine, private Gärner:nnen usw.

Im Fokus des Interesses stehen seitens «Abnehmende» (n=6) folgende Akteure:

Abo-Besitzer der solidarischen Landwirtschaft, öffentliche Einrichtungen wie KITAs, Schulen/Mittagstische, öffentliche Kantinen, Privatpersonen (mit und ohne eigenem Garten).

Ablauf

Die Projektgrundlage bildet ein Konzept des Notfall-Einmachmobils. Auf dieser Basis wird ein Prototyp des Notfall-Einmachmobils entwickelt, der während der Erntezeit im September 2025 eingesetzt wird. Mit dem Prototyp werden Einmach-Workshops mit unterschiedlichen Akteuren der Zielgruppe «Zuliefernde» (ca. 4-6 Workshop à 4-6 Teilnehmenden) durchgeführt. Aus dem Pool der Teilnehmenden werden Zielpersonen für die qualitative Interviews rekrutiert. Die übrigen Teilnehmenden nehmen an einer kurzen Online-Umfrage über Mentimenter teil, um zusätzlich Rückmeldungen zur allgemeinen Resonanz abzuholen.

In den qualitativen Interviews stehen die sogenannten «Reasons to Believe» (RTBs) im Fokus: Verständlichkeit, Relevanz, Glaubwürdigkeit, Differenzierung und Überzeugungskraft aus Sicht der relevanten Zielgruppe - sowie zentrale Treiber und Barrieren.

Darüber hinaus werden einzelne Parameter des Konzepts gezielt variiert und verglichen – z. B. Teilnahme mit oder ohne eigene Lebensmittel, Sharing von Utensilien des Haltbarmachens, Kostenstruktur der Workshops oder logistische Fragen. Zudem werden unterschiedliche Kommunikationsrouten (z.B. rational vs. emotional) getestet. Das Konzept kann vorab mittels Pretests validiert werden.

Im Rahmen der Workshops mit dem Notfall-Einmachmobil werden Fotos und Clips erstellt, welche in den Interviews mit potenziellen Abenehmenden als Stimulusmaterial eingesetzt werden.